22.02.2021

Der Hallux Valgus


Der Hallux Valgus
Gesunde Füsse sind wichtig
Die Ursache der Fehlstellung ist multifaktoriell. In den meisten Fällen liegt eine Co-Inzidenz von Spreizfuss und Knick-Senkfuss vor. Somit ist der Hallux valgus zurückzuführen auf eine Schwäche des Stütz- und Bindegewebes des Fusses. Auch exogene Faktoren können zu dieser Insuffizienz führen, jedoch liegt der Erkrankung meistens eine familiäre Komponente zu Grunde. „Falsches“ Schuhwerk spielt meines Erachtens eine untergeordnete Rolle.
Der Hallux valgus gehört zu einer der häufigsten Deformitäten am Vorfuss. In aktuellen Untersuchungen wird der Krankheitsstand bei Personen zwischen dem 18. bis 65. Lebensjahr weltweit auf 23% geschätzt. Ab 65 Jahren besteht sogar eine Prävalenz von 35%. Betroffen sind von dem Grosszehen-Schiefstand zu 80% erwachsene Frauen. Im Bereich der Fusschirurgie stellt der Hallux valgus den häufigsten Konsultationsgrund dar.
Der valgische Grosszeh ist nicht nur ein kosmetisches Problem, sondern führt zu einer pathologischen Biomechanik. Durch Instabilität im TMT1 Gelenk kommt es zu einer Varisierung des Metatarsale 1. Durch den Zug der EHL/FHL Sehne vor allem kommt es zu einer valgischen Abkippung des Grosszehs im MTP 1 Gelenk. Ich erkläre dies meinen Patienten „das ist als würden Sie mit einem Anhänger rückwärts fahren“. Durch die Fehlstellung kommt es zu Scherkräften und „Druckspitzen“ im MTP1 Gelenk was häufig zu Knorpelschäden und damit zur Kombination „Hallux valgus et rigidus“ führt. Durch die Abkippung nach lateral shiftet der Abrolldruck in Richtung der 2./3. Kleinzehe, was zu einer Deformierung der Kleinzehen (Hammerzehe, Krallenzehe) und zu einer sog. Transfermetatarsalgie führt – also dem Lastwechsel auf die Köpfchen der Metatarsalia 2 und 3. Durch die Abweichung nach lateral verringert sich die „Push-off“ Kraft des Zehs beim Abrollen - der gesunde Zeh übernimmt normalerweise mind. 50% dieser Abstosskraft.
Nicht eine Knochenanlagerung, sondern das herausgetretene Mittelfußköpfchen bildet also «den Ballen». Der Ausdruck „Bunion“ wird oft als Synonym zum Hallux valgus verwendet, obwohl er übersetzt „Ballen“ bedeutet und damit ein Sammelsurium an Veränderungen des MTP1 Gelenkes beschreibt. So werden auch Bursitiden, Gichttophi, Ganglien, Osteophyten etc. als „Bunion“ beschrieben. Von daher einigen wir uns besser auf den korrekten Begriff des Hallux valgus, wenn es darum geht, die Fehlstellung des Grosszehs zu beschreiben, die meistens mit einer Prominenz des MTP 1 Gelenkes
Das Krankheitsbild des Hallux valgus ist progredient. Neben dem kosmetischen Aspekt, sind es v.a. Druckstellen, schmerzhafte Beschwielungen und Belastungsschmerzen, die den Patienten/die Patientin zum Arzt führen. Spätestens, wenn es zu einer Veränderung der Vorfussbiomechanik kommt (wir sprechen dann von «Vorfussdekompensation»), sollte spezialärztlicher Rat gesucht werden, um eine Verschlechterung der Situation zu vermeiden.

Fehlstellung der Groschen auf dem Röntgenbild
Diagnostik:
Die primäre Diagnostik besteht aus einervgründlichen Untersuchung des Fusses, inkl. Analyse des Gangbildes, sowie der belasteten und unbelasteten Beurteilung unabdingbar. Der Fuß ist ein Multifunktionsorgan – er besteht abgesehen von kleinen akzessorischen Sesambeinen, aus 26 Knochen und 33 Gelenken, die durch über 100 Sehnen und Bänder stabilisiert und bewegt werden.
Apparativ besteht der Goldstandard aus in einem belasteten Fussröntgen in 3 Ebenen, wobei die schräge Ebene schwerlich belastet sein kann. Das Röntgen gibt Aufschluss über die wesentlichen Veränderungen und lässt eine genaue Messung der bei diesem Krankheitsbild relevanten Winkel zu.:
Hallux-Valgus-Winkel (HV Winkel oder Metatarso-Phalangealwinkel-1): Winkel zwischen MT1 und D1. Normalerweise 5-15°
IP Winkel: Winkel zwischen Grund- und Endphalanx D1 (norm. 0-7°)
Intermetatarsalwinkel: Winkel zwischen MT1 und MT2 (norm. 10-12°)
Desweiteren wird auf arthrotische Degeneration, Luxationen (Kleinzehen), (De-)Zentrierung der Sesambeine, Kongruenz des Metatarsale-Bogens (Überlängen einzelner Metatarsalia)…etc. geachtet.
Eine erweiterte Bildgebung mittels CT ist am Vorfuss selten notwendig. Das MRI hat eher seine Daseinsberechtigung in der Diagnostik von Neuromen, Bursitiden, Arthritiden, KM-Ödemen, Insuffizienzfrakturen usw.

Therapie
Primär behandeln wir nur symptomatische Patienten. Eingriffe am Fuss aufgrund kosmetischer Bedenken sollten nicht vorgenommen werden.
Ich werde oft gefragt: «was halten Sie von Kybun (o.ä.) Schuhen und Halluxschienen?!» Die meisten meiner Patienten sind alt genug selber zu entscheiden was Ihnen hilft und was nicht. Ich persönlich halte nichts von Halluxschienen, weil sie das Problem nicht lösen. Allenfalls können sie in der postoperativen Behandlung verwendet werden als Stabilisation und Korrekturhilfe. Beim Schuhwerk ist es wie beim Wein – was schmeckt/gefällt ist gut. Einer Frau zum Beispiel sollte man nicht das Tragen von Absatzschuhwerk verwehren wenn der Wunsch danach besteht – ob nun prä – oder postoperativ.
Sollte eine operative Korrektur indiziert sein gibt es eine Vielzahl von Korrekturmöglichkeiten. Klassische Methoden wie die Scarf- oder Chevron-Osteotomie, Akin-Korrektur, Reve-L-Osteotomie, oder die Lapidus-Arthrodese sind sehr gängige Methoden. Es gibt Empfehlungen der D.A.F. oder der Deutschen Gesellschaft für Fuss- und Sprunggelenkschirugie welcher Eingriff für welchen Korrekturausmass Verwendung finden sollte – aber grundsätzlich gilt: jeder Fusschirurg hat sein Repertoire. Da gibt es weniger «richtig» und «falsch» - es zählt des Korrekturergebnis und die Zufriedenheit des Patienten.
Beispiele für mögliche Behandlungsalgorhythmen:
Milder Hallux valgus: Chevron oder Reve-L-Osteotomie
Fortgeschrittener Hallux valgus: Scarf/Akin- Osteotomie
Weit fortgeschrittener Hallux valgus: Achskorrekturen mittels z.B. closing wedge oder openig wedge Osteotomie oder Lapidus + Chevron/Akin.
Neben diesen klassichen Methoden ist die minimal-invasive Fusschirurgie in den letzten Jahren für einzelne Indikationen auf dem Vormarsch. Minimalinvasivität ist so lange gut, solange die Korrekturmöglichkeiten, Rezidivraten und perioperativen Risiken mindestens vergleichbar sind mit den offenen Methoden. Da es sich um ein weites Feld der operativen Therapie handelt, sollte die MIS-Fusschirurgie gesondert abgehandelt werden.

Halluxschuh

Eine Auswahl gängiger OP-Methoden:

Operation nach Austin/Chevron
Das Metatarsale 1 wird distal umgestellt und mit einer 2.4/2.7mm Schraube fixiert.

Abb.: Operation nach Austin/Chevron

Abb.: Operation nach Austin/Chevron - seitlich

Abb.: Scarf - Operation
Das Metatarsale 1 wird Z-förmig osteotomiert und in seiner Stellung korrigiert.

Abb.: Scarf-Operation seitlich

Abb.: Umstellungsoperation – closing wedge
Der Knochen (MT 1) wird im Bereich der Basis umgestellt. Hierbei wird entweder ein Knochenkeil entfernt und die entstandene Lücke geschlossen oder der Knochen im Bereich seiner Durchtrennung "aufgebogen" (geöffnet) und so in seiner Achse korrigiert. Gehalten wird das Repositionsergebnis mittels spezieller Platten. Diese können in situ belassen werden.

Abb.: Umstellungsoperation – opening wedge

Abb.: Operation nach Lapidus
Die Hypermobilität im TMT1 Gelenk kann die Fehlstellung hervorrufen. In diesem Fall muss eine Versteifung zwischen dem Os cuneiforme 1 und dem Os metatarsale 1 in der korrigierten Stellung durchgeführt werden ("Arthrodese nach Lapidus"). Die Gelenkpartner werden nach Entknorpeln mit Schrauben und/oder einer speziellen Titanplatte arthrodesiert.

Halluxverband
Nachbehandlung:
Es heisst, «der Verband gehört zur Operation und trägt im Wesentlichem zum Ergebnis bei». Ein korrekter Verband nach OP (und dafür muss man wissen was operiert wurde) ist ausgesprochen wichtig, weswegen ich empfehle, unsere Patienten/-innen in den ersten 2 Wochen mit regelmässigen Vebandswechseln zu begleiten. Klassischerweise fixiert man in den ersten Wochen mittels redressierendem Hohmannverband die korrigierten Zehen. Anschliessend ist Taping optional.
Insgesamt lasse ich 6 Wochen bei den gewöhnlichen Korrekturen, 8-10 Wochen bei Arthrodesen oder Wedge-Osteotomien im Halluxschuh (harte Sohle) Fersenbetont an Gehstöcken belasten. Ab der 3. Postoperativen Woche ist eine physiotherapeutische Mitbehandlung häufig sinnvoll um eine Einsteifung des MTP 1 Gelenkes zu verhindern.
Schwellungsbedingt ist das Tragen geschlossener Schuhe nach OP in den ersten 8 Wochen schwierig. Eine Sportkarenz empfehle ich – je nach Sportart – für ca. 3 Monate.

Füsse sind wie Hände – feinmotorisch, sensibel und ausgesprochen wichtig in ihrer Funktion. Leider geraten sie manchmal in Vergessenheit – obwohl wir ihnen einen wesentlichen Teil unserer Mobilität zu verdanken haben.

«Nur wo zu Fuss warst – bist Du wirklich gewesen» - Johann Wolfgang v. Goethe

Die Bilder wurden freundlicherweise von der Gesellschaft für Fusschirurgie e.V. zur Verfügung gestellt.

Dirk Lehnen