Ein Erfahrungsbericht aus dem Konsultationszentrum in Jona/Grünfeld
«Die Regierung des Kantons St.Gallen hat den Bau von drei regionalen Konsultationszentren in Auftrag gegeben. Während sich für die Bevölkerung am Ablauf bei Symptomen nichts ändert, sollen die Zentren die Ärzteschaft entlasten. Der medizinische Lead liegt beim Gesundheitsdepartement. Der kantonale Führungsstab hat jetzt die Standorte festgelegt: Sie werden in St.Gallen, Sargans und Rapperswil-Jona in diesen Tagen aufgebaut. Die Konsultationszentren können nur mit einer ärztlichen Überweisung aufgesucht werden.»
Das war die Information des Kantons am 25.03.2020.
Am gleichen Tag erhielt ich in unserer Praxis einen Anruf des Präsidenten des Medizinischen Vereines des Linthgebietes und wenig später der Stellvertretenden Kantonsärztin. Man bat mir die Aufgabe des ärztlichen Leiters des Zentrums an. Der Lockdown war zu diesem Zeitpunkt wenige Tage alt und die medizinisch/orthopädische Perspektive für die nächsten Wochen und Monate unsicher. Unsere Praxis war gut gestartet, aber ein «Lockdown-Szenario» gab es weder in unseren Köpfen noch im Buisnessplan. Ungeachtet dessen war die neue Aufgabe eine interessante Herausforderung und eine gute Gelegenheit nochmals meine Arbeit in den Dienst des Kantons zu stellen.
Die erste Besichtigung der Sportanlage Grünfeld erfolgte am 26.03. mit allen wichtigen Vertretern des RFS, Zivilschutz, Gemeinde und Labor. Es war beeindruckend zu sehen, in welch kurzer Zeit Zivilschutz und RFS aus einer Sporthalle ein medizinisches Zentrum gemacht hatten. Ich konnte aber meine Ideen und medizinischen Vorgaben noch einfliessen lassen und erinnere mich noch daran, wie ich mit einem «flauen Gefühl» im Bauch durch diese immense Halle lief und die Bilder aus Italien und dem Rest der Welt im Kopf hatte, wo solche Hallen zu Notspitälern und Sammellagern umfunktioniert wurden. Sollte dieses Szenario auch zu uns in die Schweiz kommen?
Am 31.03.2020 nahmen wir unseren Betrieb auf. Im Vorfeld konnten wir motiviertes med. Personal und Ärzte rekrutieren, die im Schichtsystem wochenweise eingeteilt wurden. Vorerst Montag bis Freitag, zwischenzeitlich auch samstags und an Feiertagen. Die Einweisung der Abläufe und Informationsfluss zu Corona und COVID-19 waren lückenlos und professionell. Um den reibungslosen Betriebsablauf und Nachschub kümmerten sich RFS und Zivilschutz.
Das einzige was «fehlte» waren die Patienten
An manchen Tagen waren es mehr als 10, an «ruhigen» auch mal keiner. «Positiv» getestet wurden ca. 10 bis 20 Prozent in der Anfangsphase – später dann ab Mai fast keine Neuinfektionen mehr. Es war nicht so, dass wir nichts zu tun hatten, aber den Personalbedarf mussten wir stets den Bedürfnissen anpassen.
Der politische und mediale Druck stieg. Man wurde auch aus der Bevölkerung und von Kollegen immer wieder gefragt, ob es das Ganze braucht, oder ob man auf die «2. Welle» warte. Meine Antwort war immer dieselbe: wir sind gut vorbereitet und dürfen dankbar sein, dass wir bis anhin verschont geblieben sind... und eine «2. Welle» ist ungewiss, weil es hier schon keine «1. Welle» gab.
Die Arbeit im Zentrum hat mich trotz der geringen Fallzahlen beeindruckt. Es war ein grosses «Miteinander» zwischen Ärzten, med. Personal, Zivilschutz, RFS usw... wie eine grosse Familie und Teil eines sehr gut funktionierenden System in unserem Land. Der gute Kontakt zu den Hausärzten und dem Spital liess in dieser Zeit alle ein wenige näher zusammenrücken.
Die Entscheidung für die Zentren war m. E. weitsichtig und korrekt. Niemand konnte zu Zeitpunkt Ende März wissen, wie sich die Lage entwickelt und welche Ressourcen wir benötigen werden. Das Schliessen der Zentren im Mai war ebenfalls ein richtiger, wenn auch etwas überstürzter Beschluss. Man hat zu diesem Zeitpunkt abschätzen können, dass unser Gesundheitssystem mit gut funktionierenden und bestens ausgestatteten Hausarztpraxen und Spitälern, die Anzahl an Erkrankten problemlos hat bewältigen können.
Mit den Erfahrungen der letzten Wochen sind wir ein bisschen weitsichtiger geworden. Die Corona-Krise hat unsere Gesellschaft nachhaltig verändert und ich wünsche mir, dass sich das «Miteinander» in der «Nach-Corona-Zeit» weiter etabliert.
© Dirk Lehnen